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Kaum war dies „im tiefsten sinnig-, gedanken-, kunst- und
schönheitsreiche, großartige Werk“ (1893) vollendet, das erst drei Jahre
später dem Publikum gezeigt, dem mit ihm geschmückten Raum eine so hohe
künstlerische Weihe verleiht, so trat an Janssen bereits wieder eine neue,
noch gewaltigere Aufgabe gheran, deren Lösung seitdem seine geistige Kraft und
malerische Thätigkeit vor jeder anderen in Anspruch genommen hat.
Er wurde
beauftragt, für den großen Saal im Universitätsgebäude zu Marburg sieben
Wandgemälde von kollosalem Umfang und sechs Bilder für die Lünetten an
denselben Wänden auszuführen. Die Gegenstände der ersteren sollten bedeutende,
besonders denkwürdige Vorgänge aus der Geschichte dieser alten Stadt und ihrer
Umgebungen ,
die der Lünetten der poetischen Sage von „Otto dem Schützen“
entlehnt sein. Mit frischer Begeisterung wie mit gestählter Kraft und im
Bewußtsein ihres Vollbesitzes und der reifsten Meisterschaft ist Janssen an
dies riesige Werk gegangen. Fünf von den größsten Gemälden fanden wir im
Sommer des vorigen Jahres in seiner Werkstatt im Akademiegebäude so gut wie
vollendet. Für die Lünetten hat er vorzüglich in deren beschränkten Raum
hinein komponierte Darstellungen zu jener, teilweise durch geschichtliche
Fakta begründeten, romantischen Sage von Otto dem Schützen, deren Schauplätze
im Hessenlande liegen, entworfen. Marburgs geschichtliche Vergangenheit hat
die Stoffe zu den großen Wandgemälden gegeben, in denen Janssens Kunst der
zugleich großartig monumentalen und ungekünzelt erscheinenden Komposition, der
überzeugend lebensvollen Darstellung des Vorgangs, seine Kraft der
Charakterisierung der Menschen aus den verschiedensten Zeitepochen und sein
malerisches Können sich auf ihrem höchsten Gipfel zeigen.

Kaiser Friedrich II. entläßt nach Preußen ziehende Deutsch-Ordensritter. 1236
Das erste Bild der Reihe stellt die Verabschiedung der
zur Eroberung des heidnischen Preußen ausziehenden Ritter des Deutschen Ordens
durch Kaiser Friedrich II. Im Schloß zu Marburg 1236 dar. Der in ein langes
violettes Gewand mit dem Purpurmantel darüber gekleidete Kaiser, der für einen
Mann von zweiundvierzig Jahren auffällig jugendlich erscheint, drückt dem
scheidenden Hochmeister die Rechte und legt die Linke auf dessen Schulter mit
einer Gebärde, die das feste Vertrauen in den Mut, den Verstand und die
Tüchtigkeit dieses Führers beredt ausdrückt. Er seinerseits scheint dem Kaiser
zu geloben, das er dies Vertrauen rechtfertigen werde. Seine Ritter sind
bereits im Sattel und reiten, den Kaiser mit erhobenen Händen, geschwungenen
Lanzen und Schwertern grüßend, dem Thor in den gewaltigen düsteren Mauern des
alten Marburger Ordensschlosses zu. Zwischen und hinter den Rossen, über deren
Rücken hin die weißen Ordensmäntel wallen, schreitet in gedrängten Gruppen das
Fußvolk. Jene finsteren Mauern und trotzigen Rundtürme bilden den tieffarbigen
ruhigen Hintergrund für die bewegten Gestaltenmassen in ihren meist hellen
Trachten und schimmernden Eisenhauben. Das ganze Bild trägt das Gepräge
schlichter Größe.

Die h. Elisabeth und ihr geistiger Zuchtmeister Konrad von Marburg:1230
Der Gegenstand des zweiten Bildes bot dem Meister sehr
viel reichere und mannigfaltigere Motive für die Schilderung mittelalterlicher
Zustände und des Seelenlebens mittelalterlicher Menschen. Es zeigt die heilige
Elisabeth, die all ihren Fürstenglanz, ihre Würde und Hoheit abgelegt und
demütig als Wärterin der Kranken im Spital werktätig ihrem Heiland dient, und
für ihren frommen Übereifer oder auf ihren Wunsch um der vermeintlich
gottgefälligen Kasteiung willen, von dem fanatischen Bischof Konrad von
Marburg gegeißelt wird. In der Darstellung der auf ihrem Schmerzenslager in
langer Reihe nebeneinander lagernden kranken Frauen blieb Janssen an Kühnheit
und Wahrhaftigkeit hinter keinem der alten niederländischen und deutschen wie
der modernen Realisten zurück. Aber nie verfällt er dabei in kleinliche
Ausmalung der Details. Immer ist auch in der Zeichnung dieser Gestalten der
große monumentale Stil gewahrt. Die knieende Heilige, die dem finsteren
Kleriker ergeben den zarten Rücken bietet, den er sich anschickt mit dem
Strick in seiner rechten zu geißeln, ist die Verkörperung rührender Demut und
frommer Ekstase. Der Körperschmerz scheint ihre Seele nur mit Entzücken zu
erfüllen. Ihr edles Antlitz blickt wie verklärt zum Himmel auf, und ein
seliges Lächeln gleitet darüber hin. Die sie umstehenden und die erschrocken,
mitleidig und staunend zugleich der seltsamen grausigen Szene zuschauenden
Gestalten drücken die sehr verschiedenartigen Empfindungen wahr und lebendig
aus, welche der Vorgang in ihnen hervorruft. Die von draußen in den Raum
einfallenden Sonnenstrahlen tauchen ihn und die Gruppen in ihm in lichte Töne
von schöner Klarheit auch in den Schattenwaffen, die durch den Reßler zu
warmem Helldunkel aufgelöst werden.

Sophie von Brabant läßt die Marburger Heinrich dem Kinde huldigen. 1248
Sophie von Brabant zeigt dem Volk von Marburg ihr
Söhnchen, den Erben des Markgrafentums, Ludwig das Kind (1248) – das ist die,
bereits einmal von Adolf Menzel in einem berühmten großen Karton dargestellte
Szene, welche das dritte Wandgemälde veranschaulicht. In der Gestaltenmenge,
die sich am Fuß der breiten Steinstufen drängt, auf deren Höhe die Fürstin,
das erlauchte Knäblein mit beiden Händen in die Luft haltend, steht, hat
Janssen seine Gabe und Kunst der lebendigen Vergegenwärtigung leidenschaftlich
bewegter Menschenmassen, in freudig jubilierender Stimmung aufs glänzendste
bewährt. Nie ist ein solches Volksgewühl wahrer und treffender geschildert
worden. Aber wenn dieser schreiende, fahnenschwingende, in sich wogende bunt
gemischte Haufen als einheitliche, wie von einem mächtigen Impuls getriebene
Masse erscheint, so hat der Meister doch innerhalb ihrer jeden Mann, Greis,
schlanken Jungen und kleinen Buben, jedes Weib und Mädchen als besondere
Individualität, scharf und treffend zu charakterisieren verstanden. Da ist
nicht Schablonenhaftes, in den Köpfen wie in den Gestalten und den Bewegungen.
Und wie diese, sind auch die Lokalfarben von größester Mannigfaltigkeit,
während sie doch auch wieder zu einem großen geschlossenen Gesamtton
verschmolzen sind. Einen prächtigen Gegensatz zu dieser stürmisch bewegten
Menschenflut bilden die gehelmten geharnischten Reiter, die hie und da,
ehernen Statuen gleich, daraus aufragen.

Die Schlacht bei Laufen. 1534
Noch heftiger und wilder bewegte, gestaltenreiche Gruppen
zeigt das vierte Bild eines heißen Kampfgewühls, der siegreichen Schlacht bei
Laufen, in welcher Philipp von Hessen das kaiserliche Heer unter dem
Pfalzgrafen Philipp am 13. Mai 1534 schlug. Geharnischte Lanzenreiter auf
feurig ansprengenden gepanzerten Rossen und Scharen „frommer Landsknechte“ in
buntfarbigen geschlitzten und gepufften Wämsern und Hosen, mit Spießen,
Hellebarden und zweihändigen Schwertern sieht man im wütenden Handgemenge. Die
Fechtenden und die Sterbenden machen keine Posen, wie auf so vielen deutschen
Schlachtenbildern, zumal auf solchen von mittelalterlichen Kampfszenen, sie
schlagen und stechen, sie fallen und wälzen sich auf dem zerstampften Boden,
so, daß man an den bitteren, grimmigen Ernst ihrens Thuns und ihren Leiden und
daran, daß in jenem Zeitalter die Formen des Nahgefechts so wie sie hier
dargestellt sind, gewesen seien, glauben muß.

Die Reformatoren ziehen zum Religionsgespräch ein, empfangen von Philipp dem
Großmütigen. 1529
Mit der gleichen Meisterschaft und gleich überzeugend wie
auf dem dritten Bilde ist die Volksmenge auf dem fünften geschildert, welche
sich da mit leidenschaftlicher Anteilnahme herandrängt zum gastlichen Empfange
und zur Begrüßung der zum Religionsgespräch nach Marburg gekommenen
Reformatoren Luther, Melanchton, Jonas, Osiander , Agricola, Zwingli,
Decolampadius und Butzer durch Philipp von Hessen, den berühmten Förderer der
Reformation. Aber wahrhaft bewundernswert sind auch alle diese geschichtlichen
Charaktere, die Hauptfiguren in diesem Vorgange, dargestellt. Auch hier hat es
Janssen wie auf dem Bilde der Vorstellung des kleinen Prinzen durch Sophie von
Brabant vollendet erreicht, innerhalb der großen Gesamtmasse, die als Einheit
wirkt und von einem gemeinsamen Gefühl bewegt und vorgetrieben wird, doch jede
Einzelgestalt als besonderes persönliches Wesen zu bilden. Auch der Reichtum
seiner Erfindung, seiner künstlerischen Schöpferkraft und die Schärfe seiner
Beobachtung zeigen sich hier wieder in ganzer Größe. Nicht minder auch des
Meisters Kunst und Macht, ein buntes Mosaik von lebhaften Lokalfarben und von
ruhigem tiefen Schwarz zu einer schönen geschlossenen Totalwirkung zu
verschmelzen.
Wenn Janssens Genie und Können sich in großen Zyklen
symbolischer und geschichtlicher Wandgemälde auch am eindrucksvollsten
bestätigt, und wenn deren Entwurf und Ausführung seinen ganzen künstlerischen
Menschen während seines bisherigen Lebens auch zumeist in Anspruch genommen
hat, so wußte er trotzdem doch noch immer genügende Zeit , Sinnes- und
Seelenfreiheit zu gewinnen, um zu seiner eigenen Lust und ohne eine Bestellung
abzuwarten, malerische Kunstwerke von mannigfacher Art zu schaffen. So
schmückte er Wandfriese, Bogenfelder und Decken der Haupträume seines eigenen
echt künstlerisch vornehm und traulich eingerichteten und ausgestatteten
Daheim mit sinnigen poesie- und schönheitsvollen Malereien. So gestaltete er
auf Reisen Gesehenes und Beobachtetes zu Bildern voller Leben und Charakter
und von prächtiger Farbenfrische und –Wärme. Eine Reihe hochinteressanter Öl-
und Aquarellgemälde und Farbenskizzen, zu denen das Volkstreiben in spanischen
Städten die Motive gegeben hat, danken ihre Entstehung Janssens durch die
pyrenäische Halbinsel. Wohl ist seine Phantasie erfüllt mit großen
Gegenständen, und seine Hauptaufgabe fand er immer darin, vor seinen Augen
geistige Bilder aus jener idealen Welt, „wo die reinen Formen wohnen“ und von
Menschen und Taten vergangener alter Zeiten heraufzubeschwören. Aber immer
auch ist sein Blick allen Erscheinungen der Natur, der lebendigen Wirklichkeit
aufmerksam zugewendet.
Keiner ihrer Reize ist ihm verschlossen, und was ihn in
ihr anregt, malerisch interessiert und fesselt, skizziert er mit Pinsel und
Stift. Aus der steten Berührung mit der Natur, aus dem Versenken in ihre
unerschöpfliche Herrlichkeit gewinnt er immer wieder frische Kraft und bewahrt
er sich vor jedem Erstarren in Manier.
Als Mensch wie als Künstler ist er ein ganzer Mann.
Gesund im innersten Mark, in allen Fasern seines Wesens, in seinem Denken,
Anschauen und Schaffen steht er fest und tüchtig mitten in Leben seiner Zeit.
Viele und Großes hat er geschaffen, und als Vorbild und Lehrer der
Künstlerjugend um sich herum reiche Saaten ausgestreut, denen bereits manches
herrliche Korn entsprossen ist. Aber Alles berechtigt zu der frohen Hoffnung,
daß er noch lange nicht sein letztes Wort gesprochen hat, sondern noch Viel
und Großes zu schaffen und zu wirken bestimmt ist, ihm zum Ruhm und zur Ehre
der deutschen Kunst.