Werke von Peter Janssen dem Älteren (1844 - 1908)
Die Reformatoren ziehen zum Religionsgespräch ein, empfangen von Philipp dem Großmütigen. 1529
Bildbeschreibung von Margret Lemberg
Quelle:
© 1985 Margret Lemberg/Gerhard Oberlik:
Die Wandgemälde von Peter Janssen
in der Alten Aula der Philipps-Universität zu Marburg
N.G. Elwert Verlag Marburg
 

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Das Bild, dem durch seine Größe -das vorhergehende Bild ist zwar etwas breiter aber durch den Türbogen   beschnitten - und seine Position die größte Bedeutung zugemessen wird, trägt die Unterschrift "Die Reformatoren ziehen zum Religionsgespräch ein, empfangen von Philipp dem Großmütigen. 1529". Es ist als einziges der sieben Monumentalgemälde von Peter Janssen signiert.

Auch gedanklich bildet es die Achse, den Mittelpunkt des gesamten Zyklus. Philipp hatte schon 1526 die neue Lehre in seinem Land eingeführt und ihr eine ideelle wie materielle Basis geschaffen. Um das Bündnis der evangelischen Reichsstände gegen den Kaiser zu festigen, lud er 1529 die Vertreter der unterschiedlichen Richtungen der reformatorischen Lehre, Luther und Zwingli, zu einem Gespräch über Hauptpunkte des Glaubens nach Marburg ein.

Janssen hält in seinem monumentalen Gemälde den Augenblick fest, bei dem sich die in schlichtes Schwarz gekleideten Reformatoren und ihre Begleiter von links vorne den Fürsten nähern, die sie vor dem Eingang zur Burg am rechten Bildrand erwarten. Die farbig gekleideten Herrscher, Philipp und sein Verwandter, Ulrich von Württemberg, der 1519 vom Schwäbischen Bund vertrieben worden war, schauen erwartungsvoll auf die Ankommenden; Philipp streckt seine Hände den heranschreitenden Reformatoren entgegen. In der Mitte der ersten Reihe geht, durch seine Größe und durch einen mächtigen Pelzkragen herausgehoben, Martin Luther; neben ihm, kleiner und schmaler, Melanchthon. Beide entsprechen in ihrem Habitus den Gemälden und Stichen des 16. Jahrhunderts. In der zweiten Reihe betont Janssen den geistigen Gegner Luthers, Ulrich Zwingli, durch Körpergröße und durch einen grauschwarzen Schulterkragen und Aufschlage an den Ärmeln.

Obgleich man die Reformatoren nur im Halbprofil oder gar von hinten sieht, hat Janssen durch den Bildaufbau erreicht, daß die Reformatorengruppe den Mittelpunkt bildet. Die Architekturteile weisen auf sie hin, der Wehrturm der Burg überragt sie, der Burgweg macht gerade hier eine Biegung. Die drängende, neugierige Menge umgibt die evangelischen Männer von allen Seiten. So konnte Janssen stärker noch als in den Bildern der Ordensritter und der Ausrufung des Landes Hessen Bürgerporträts gestalten und die Anteilnahme der durchweg gutsituierten Bürger psychologisch im Stil der Historienmalerei differenzieren. Das schließt einen gewissen Eindruck von Theaterkulisse und gestellter Pose bei einigen Figuren nicht aus. Um den Diagonaleffekt und die Hervorhebung der Bildmitte zusätzlich zu betonen, hat der Maler eine absurde Konstruktion der Burgbefestigung erfunden: Die Treppe zum Wehrgang und dieser selbst verlaufen außen an der Burgmauer entlang - für jeden Feind ein willkommener Zugang! Dieser Aufbau gibt allerdings Gelegenheit zum Arrangement weiterer Personen. Auch der Blick in die herbstliche Landschaft am linken oberen Bildrand verstärkt das Konstruierte, ohne dem Gemälde eine sonderliche Tiefenwirkung zu geben.

In diesem Bild ist viel vom Selbstverständnis des Kaiserreichs von 1871 enthalten: Ein großmütiger Fürst sorgt sich um die Einheit im evangelischen Glauben und regt zu geistiger Auseinandersetzung an. Der preußische König und Deutsche Kaiser Wilhelm II. ließe sich hier als geistiger Nachfolger Philipps einsetzen.

Ein unvoreingenommener Betrachter hatte bei dem Thema "Religionsgespräch" eher an das Gespräch von 1529 im Schloß selbst gedacht oder an seinen im entscheidenden Punkt strittigen Ausgang. Diese Szene war vermutlich der Zielgruppe, für die der Festraum gedacht war, durch das Gemälde August Noacks von 1869, das heute im Schloß hängt, vertraut. Dort weist Luther hartnäckig mit dem Finger auf das entscheidende Wort in der Abendmahlslehre hin: "έστιυυ".

Aber nicht der unüberbrückbare Gegensatz in der Disputation oder Luthers tatsächlicher Mißmut dem ganzen Engagement Philipps gegenüber werden gezeigt, nein, das Bild Janssens strahlt Ernsthaftigkeit und Harmonie aus und betont fürstliches Entgegenkommen. So verstand auch der preußische König seine Aufgabe im neugegründeten Reich. Da Staatskirchenrecht und Erziehungswesen auch nach der Reichsgründung von 1871 weiterhin Angelegenheiten der Einzelstaaten geblieben waren,  konzentrierten sich die schon seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bestehenden Konflikte zwischen der evangelischen preußischen Regierung und der katholischen Kirche hauptsächlich in Preußen und seinen Provinzen.

Ab 1871 hatte sich in diesen Gebieten in der Phase des beginnenden "Kulturkampfes" eine Stimmung entwickelt, die auf beiden Seiten in vielem überzogen war und in der die Katholiken, wie später die Sozialisten, von Bismarck zu "Reichsfeinden" erklärt wurden. Die Angst vor dem " Ultramontanismus", einer angeblichen Bestimmung der katholischen Bevölkerung von außen, von Rom, ließ ihn so gereizt reagieren. Die Erfurter Gründungsurkunde des "Evangelischen Bundes" von 1886 illustriert diese Stimmung besonders gut. Sein Ziel war es u. a., die "Lebenskräfte der Reformation im deutschen Volk lebendig zu erhalten" und die "deutsch-protestantischen Interessen" zu wahren. In ähnlicher Richtung arbeitete die " Gustav-Adolf-Gesellschaft".

In diesem Zusammenwirken von " Thron und Altar" sollte das Reformatorenbild in der Aula gesehen werden. Die Kultusbehörde und der Maler Peter Janssen spiegeln durch die Wahl gerade dieser Szene das Selbstverständnis des Wilhelminischen Deutschlands wider: Der Deutsche Kaiser als Einiger der evangelischen Kirchen fühlt sich mit Luther im Bunde. Bismarck verkündete noch 18S2 nach seiner Entlassung in Jena: "Ich bin eingeschworen auf die weltliche Leitung eines evangelischen Kaisertums, und diesem hänge ich treu an. .." Daß die unmittelbaren Adressaten der Bilder in Marburg ähnlich dachten, läßt sich in der Antrittsrede des Rektors Carl Mirbt nachlesen, die er am Tag der Enthüllung der Aulabilder, dem 18. Oktober 1903, aber ohne ausdrücklichen Bezug auf sie. mit dem Thema "Der Zusammenschluß der evangelischen Landeskirchen Deutschands" hielt. Er sah "in der Gründung des deutschen Reiches die lang gehegte Hoffnung des deutschen Volks ihre Erfüllung" finden und die "Einheitsbewegung der evangelischen Kirchen" damit "zu mächtiger Fluth anschwellen".

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