© 2012 Stephan Kotthaus

Peter Janssen Maler und Kunstprofessor

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Übersicht

Ein Dialog über Peter Janssen

 
 

RUHRBERG: Peter Janssen war in Düsseldorf nach dem Krieg eine so gute Figur, das hat kein Mensch begriffen, warum man ihn dort nicht engagiert hat. Das wäre logisch gewesen, und das hätte auch jeder erwartet. Die Akademie war in dieser Zeit der fünfziger Jahre nicht so gut besetzt, daß man ihn hätte ziehen lassen können.

WARGIN: Zu dieser Zeit hatte die Akademie in Düsseldorf noch gar keine Bedeutung.

RUHRBERG: Es fing gerade so ein bißchen an. Erst die Pionierzeit von Mataré. Dann kamen später Meistermann und Faßbender, das war schon revolutionär. Die Verkrustungen und der Provinzialismus waren aufgebrochen. Die Akademie wurde gerade lebendig, das war Ende der fünfziger Jahre, glaube ich. In Düsseldorf begann die Wendung von einer extrem traditionalistischen und konservativen, wenn auch liberalen Stadt, zu einer progressiven. Das hatte es in der Geschichte dieser Stadt noch nie gegeben.

Auch in den legendären Zeiten der zwanziger Jahre der Mutter Ey hat es das nicht gegeben - das wird Peter Janssen sogar vielleicht bestreiten. Es kam ja alles mit Verspätung in Düsseldorf an.

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Es war der Post-Expressionismus, es war Post- Kubismus, Post-Surrealismus und Post-Impressionismus, der bis heute noch eine Rolle spielt. Ich will die Verdienste dieser Leute nicht mindern, denn die haben ja damals die aktuellen Tendenzen für Düsseldorf im Rheinland durchgesetzt. Aber die Stadt selber war niemals progressiv und deswegen sind die ,,Pioniere" auch auf wütenderen Widerstand gestoßen als anderswo. Und diese Wendung zur ausgesprochen progressiven Kunststadt, das eben passierte in den fünfziger Jahren.

ROTERS: Wann wollen wir denn anfangen, über Peter Janssen zu sprechen?

RUHRBERG: Wir sind doch schon dabei.

ROTERS: Mir ist gerade aufgefallen, daß Peter Janssen fünf Jahre zu früh nach Berlin gekommen ist. Denn was er in Düsseldorf an ,,post"-Strömungen hatte, das hatten wir hier ja auch; und 1957 ist er gekommen, da lief ja hier auch noch der Tachismus und der abstrakte Expressionismus auf vollen Touren. Und dann kam hier 1963 POP so richtig erst an. Und dann ging das hier los mit den neuen Figurationen und mit den Anfängen des Kritischen Realismus, der ja damals noch nicht so manifest war. Dann kam erst allmählich Großgörschen. Wenn Janssen 1962 nach Berlin gekommen wäre, dann hätte er hier eine Treppe vorgefunden, dann wäre er in Berlin vermutlich auch besser eingestiegen. Seither ist natürlich dann hier die Blume des Realismus ganz anders aufgeblüht. In Düsseldorf blühen andere Blüten, das ist, glaube ich, schon immer so gewesen. Jenseits der Elbe, da fängt was anderes an.

RUHRBERG: Und vor allen Dingen steht Düsseldorf ganz stark, und das geht bis in eine ganz kompromißlos-kontemporäre Kunst hinein, unter dem Einfluß von Frankreich.

ROTERS: Und von den alten Römern wie den Franzosen, das ist fast dasselbe.

RUHRBERG: Na ja, das ist dann die etwas weiter zurückliegende Kulturgeschichte. Das sind dann die Gemmen-Gesichter der Kölner Mädchen. Aber ich meine, die französische Malkultur. Düsseldorf hat immer nach Frankreich geguckt, das Rheinland hat immer nach Frankreich geguckt, und der Einfluß ist sehr stark. Auch da, wo die Malerei ganz selbständig wird, ist sie trotzdem in der Qualität der Peinture - und das ist etwas, wofür man in Berlin vielleicht nicht den entsprechenden Sensus hat - in der Qualität der Peinture immer noch französisch. Ich meine, das hat Peter Janssen zum Beispiel heute noch. Sein Werk hat thematisch und formal mit Frankreich zuletzt überhaupt nichts mehr zu tun, aber wenn man genau hinguckt und sieht, wie fabelhaft das gemalt ist, dann stehen Bilder, wie das mit objekthaften Hüten und mit dem Apfel auf dem Tisch, die also wirklich beinahe wie europäische POP-Art wirken, durchaus im Kontext zu dem frühen Bild dieses spanischen Festes da, das mit einer großartigen Lockerheit und Virtuosität gemalt ist und die Qualität typisch französischer Malkultur auch in der Leichtigkeit, in der Flüssigkeit des Vortrags, in dem Reichtum auch der Erfindungen, der Leichtigkeit ohne jede Schwere hat, wie sie tatsächlich im Rheinland zu Hause sind.

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Und ich glaube, es ist schwer - auch nach meinen eigenen bescheidenen Erfahrungen jetzt in Berlin - mit so etwas hier auf Anhieb ,,anzukommen". Hier fragt man nach anderen Dingen und nach anderen Qualitäten.

ROTERS: Du sagst es. Du hast ja hier in diesem Katalog von 1972 dem Düsseldorfer Janssen gewissermaßen einen Düsseldorfer Epilog gewidmet und dann ist die Frage, er ist also von Düsseldorf nach Berlin gekommen und dann in Berlin eigentlich nicht aufgefallen; und das ist das Merkwürdige daran, und es stellt sich die Frage: Woran liegt das? Es hängt, glaube ich, damit zusammen, wie Du schon sagst, daß er zwar gegenständlich malt und insofern ganz gut nach Berlin passen würde, daß er aber an und für sich für Berlin zu gut malt, das heißt, er hat zuviel Peinture, für Berlin zuviel Peinture, er bringt also das Rheinische mit, was nach dem Französischen rübergeht. Janssen bringt ganz instinktiv die Summe der Gegenstände, die er darstellt, immer mit dem Pinsel in eine Fläche. Das ist sozusagen sein Anliegen als Maler, das ist etwas, was eine ganze Reihe Berliner Maler seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts eigentlich überhaupt nie interessiert hat, sondern.

WARGIN: Corinth hat es aber doch..

ROTERS: Corinth, ja - Liebermann auch, aber trotzdem sind Liebermann und Corinth ganz anders, die haben auch Peinture, aber die haben andere Farben, die haben eine ganz andere Skala, die ist grauer.

RUHRBERG: Ja, die haben nämlich etwas, was dem Janssen fehlt. Negativ für Berlin könnte man jetzt sagen: Die Malerei ist zu fein, die ist nicht handfest genug. Positiv könnte man sagen: Es fehlt ihm vielleicht an Härte und vielleicht auch an Entschiedenheit der Thematik, das ist etwas, wonach man hier fragt. Bei Liebermann sind die Dinge evident, man braucht ja nur an die realistischen Anfänge zu denken, die ich persönlich für wichtiger halte als den späteren Impressionismus von Liebermann, und Corinth ist eben bei aller künstlerischen Qualität auch ein sehr handfester kerniger Maler. Das ist Janssen nicht. Er ist ein feiner und ein spiritueller, ein sehr geistreicher Maler, der aber auch seinen Geist versteckt.

ROTERS: Sehr richtig.

RUHRBERG: Der tut nämlich naiv, und in gewisser Weise ist er das auch. Er ist ein intellektueller Naiver oder nein, falsch, ein spiritueller Naiver.

ROTERS: Ja, ein spiritueller Naiver ist besser.

RUHRBERG: Da steckt nämlich eine Fülle von Anspielungen und Sensibilitäten drin, eine Fülle von Andeutungen, die nichts direkt aussprechen.

ROTERS: Von Apercus, ja.

RUHRBERG: Und sehr wenig - muß man auch wieder sagen - sehr wenig Literatur. Und hier in Berlin hat man viel Sinn für Literatur. Man fragt hier einfach nach Inhalten, und ich würde auch sagen, wenn man einmal ein falsches Bild benutzen darf: Den Berlinern ist suspekt ein Ästhetizismus um seiner selbst willen, es ist ihnen suspekt, einen Augenschmaus auf der Zunge zergehen zu lassen. Das ist hier verboten, und in den Verdacht des Ästhetizismus kann so ein Maler wie der Janssen leicht geraten, obwohl ich meine, zu Unrecht.

ROTERS: Ja, aber der Unterschied zwischen spirituell und intellektuell, der erscheint mir ganz wichtig. Nein, nein, es war gut, daß Du das hier eingeführt hast und das zeigt genau den Unterschied. Denn Janssen ist ein Maler, der denkt, aber er denkt nicht mit dem Kopf, sondern er denkt mit dem Auge. Ich habe ihn ja gefragt, als wir neulich bei ihm waren, wie er auf ganz bestimmte Motive kommt, und da sagt er immer ganz ehrlich, und das glaube ich ihm auch: das weiß er nicht Das sehe er einfach so. Er sieht es, aber es sind ja nun diese Apercus drin, und diese Apercus sind wahrscheinlich tatsächlich nicht mit dem Gehirn ausgedacht, sondern die hat er sozusagen mit dem Auge herausgeholt.

Und wenn ich diese beiden Hüte betrachte, er hat ja diese ganze Reihe von Hutbildern, so wirkt das ja fast wie so ein Prestidigateurs Trick, das heißt, man hat das Gefühl, hier ist ein Zauberkünstler unterwegs gewesen.

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Der eine Hut, wo was drunter liegt, und der Apfel, der daneben liegt, der könnte gleich verschwinden. Daneben ist also der Zylinder aufgestellt, die Handschuhe, jetzt könnten da gleich Kaninchen rauskommen - und bei Janssen kommen immer irgendwie sozusagen die Kaninchen durch die Löcher.

Und das ist eigentlich dieser Bluff- das meine ich jetzt positiv- dieses Bluff-Element, das Janssen mit reinbringt, daá man immer das Gefühl hat, im nächsten Augenblick könnte was passieren.

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So, daß er z. B. da auch Leute sieht, wie die parallel über die Straße marschieren oder dann diese Patres da mit den fliegenden Mänteln, es ist etwas absolut Komisches auch dabei.

RUHRBERG: Eben, und er läßt diese Dinge einerseits in der Schwebe, vielleicht sogar bei sich selbst, das halte ich durchaus für denkbar.

ROTERS: Ja sicher, bestimmt.

RUHRBERG: Und auf der anderen Seite- hast Du richtig gesagt- ist nämlich Humor darin. Eine Menge Ironie, sehr leise, sehr unaufdringlich, auch gar nicht handfest, nicht direkt und gar nicht bitter oder anklägerisch oder so was und keine großen Gesten, sondern immer nur leise Bewegungen. Und dann meine ich ja eben eins: Vielleicht hat ihm das die Sache hier auch schwer gemacht. Ich lebe ja wahnsinnig gern hier in dieser Stadt, lieber noch als in der, aus der ich komme, obwohl ich dort sehr gerne gelebt habe, aber eins muß ich jetzt sagen: Meine Erfahrung hier ist, daß die Berliner viel Witz und auch sprachliche Präzision, daß sie aber viel weniger Humor haben. Das heißt: Berliner amüsieren sich gern auf Kosten anderer, aber ungern auf eigene Kosten. Das ist ein Unterschied zum Rheinländer. Dessen Liberalität kann auch was Negatives haben, wenn sie nämlich dann zu dieser typisch rheinischen Unverbindlichkeit und Indifferenz führt.

ROTERS: Der rheinische Humor neigt sehr zur Repetition.

RUHRBERG: Ja, nun ändert sich das auch wieder - also sagen wir mal - groteskerweise, meine ich. Der Einwohner in der größeren Stadt im Rheinland, nämlich der von Köln, ist viel behäbiger und bürgerlicher im eigentlichen Sinne, während der Düsseldorfer schon etwas schnoddriger und großstädtischer ist, nicht so behäbig, nicht so saturiert, nicht so jovial wie der Kölner und insofern vielleicht dem Berlinerischen schon etwas näher. Aber Ironie und Gebrochenheit und auch Sich-Selbst-in-Frage-stellen: also ich weiß nicht, ob das gerade eine Berliner Nationaltugend ist.

ROTERS: Ja, ich glaube, daß Ironie und Gebrochenheit durchaus Berliner Tugenden gewesen sind, ich meine. Was uns hier verlorengegangen ist, das sind die Juden, die hatten alles. Und jetzt ist da der Lack ab. Aber ich glaube, ein Rest davon ist schon noch vorhanden, bloß ist das natürlich eine andere Sorte, die geht schon viel weiter in Richtung Osten. Ich sage immer: Das nächste Gebirge westlich von Berlin ist der Harz, und das nächste Gebirge östlich von Berlin ist der Ural, und zwischen den beiden Gebirgen spielt sich ein und dieselbe Landschaft ab, und infolgedessen sind wir hier in einer anderen Art von Deutschland als die Rheinländer.

RUHRBERG: Aber dieses Manko an Empfindung - um nicht Gefühl zu sagen - oder an Gemütlichkeit, ist natürlich ein Plus an Präzision.

ROTERS: Obwohl diese Janssen-Bilder hier auch nicht unbedingt gemütlich sind.

RUHRBERG: Nein, nein, das wollte ich auch nicht unbedingt sagen. Ich will nur feststellen, woher dieses Berliner Mißtrauen kommt, möglicherweise auch gegen diese Bilder.

ROTERS: Was ja umgekehrt genauso ist. Die Rheinländer haben ein Mißtrauen gegen Berliner Bilder.

RUHRBERG: Ja, das ist richtig.

ROTERS: Ich habe mich mal darüber- und das ist ein Extremfall, wo es also hundertprozentig zutrifft - ich habe mich darüber mal mit Heinz Mack unterhalten, und der fühlt sich in Berlin nicht wohl. Das liegt daran, daß er sich hier dreihundert km weiter nach Osten versetzt fühlt.

RUHRBERG: Das ist ein gutes Beispiel, denn Mack ist ein sehr rheinischer Künstler.

ROTERS: Als Gegenbeispiel zu diesem ,,typisch" Rheinischen bringt Klapheck einen magischen Realismus: Schreibmaschinen-Mythos, Schreibmaschinen-Denkmal - er isoliert das Ding ansich. Es ist eine andere Art von Gegenständlichkeit, die hier in Berlin ankommt.

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RUHRBERG: Während Du das gerade sagst von dem ,,Magischen", sehe ich hier bei Janssen etwas anderes bei den malenden und zuguckenden Figuren rund um die Staffelei unter Blumen.

Das ist doch ein Zug zum Märchenhaften.

ROTERS; Wobei das Ganze natürlich nicht so magisch ist wie bei Klapheck: Janssen löst es durch die Ironie wieder auf und dadurch kriegt das so etwas mehr von Zauberei als von Magie.

RUHRBERG; Deswegen sage ich das ja. Ich wollte das Märchenhafte gegen das Mythologische setzen. Es ist eine scheinbare Idylle. Natürlich eine bodenlose Idylle, eine falsche Idylle. Aber das muß man erst einmal sehen.

ROTERS: Stimmt!

RUHRBERG; Und ich könnte mir vorstellen, daß wir hier das nicht so ohne weiteres realisieren.

WARGIN: Die Schlitze in diesem Rasen dort, ja?

ROTERS: Die Schlitze in dem Rasen, ja. Auch hat man das Gefühl, wenn man jenseits der Wiese tritt, stürzt man in den Abgrund.

WARGIN: Das ist aber bei all seinen Dingen so. Es gibt hinter der Kontur keinen Horizont.

ROTERS: Wobei hier das Interessante ist, das Unheimliche zeigt sich ja nicht dadurch, daß er jetzt alles dunkel macht, sondern er setzt ganz bewußt ganz helle Farben - der Trick des Unheimlichen - das Unheimliche kommt im Hellen.

RUHRBERG: Da ist - frei nach Hofmannsthal - Tiefe an der Oberfläche versteckt. Janssen verbirgt nämlich seine Hintergründigkeit, während andere sie plakatieren. Janssen hat uns den Schlüssel geliefert zu allem, was er macht, auch und gerade in den letzten Jahren.

Wie heißt doch das Schiffsbild, heißt es nicht ,,Der Kapitän"? Doch! Und seht diese Rose da in dem Stundenglas, und im ersten Kreis fährt das Schiff ganz gemütlich und im zweiten Kreis saust es ab in die Tiefe.

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Es ist eine Katastrophe, und die ist als Idylle dargestellt.

ROTERS: Ja, sicher hat Janssen eine ganze Reihe Katastrophenbilder gemalt. Es sind die niedlichsten Katastrophen, die sich denken lassen.

RUHRBERG: Das ist typisch, es heißt ,,Kapitänsbild" und es heißt nicht ,,Katastrophenbild". Und es ist die Lebensreise des Kapitäns, eine ganz einfache und scheinbar naive, primitive Metapher. Das Schiff auf der Lebensreise, dann in dem Glas - das Leben vergeht und dann sackt auch das Schiff ab.

ROTERS: Die Einfalt ist hier also der Trick, wie man das Schiff in die Flasche kriegt. Die Einfalt gibt uns Janssen vor, die spiegelt er vor. Er ist nicht harmlos, und ich frage mich, ob er das selber weiß.

RUHRBERG: Der Janssen weiß mehr, als er zugibt. Auch wenn er davon spricht, daß er nur sieht. Es gibt im Rheinland einen Horror vor etwas und auch in Frankreich, das hat mit den ,,Reinen Künsten" zu tun, mit dem Beginn der Revolution der Künste, daß man dort also möglichst pur sein zu müssen glaubt, daß man keine Anleihe machen darf bei Nachbarkünsten, es gibt den großen Horror vor dem Literarischen. Im Impressionismus ist das evident und in gewisser Weise beginnt ja mit ihm die neuere Kunstgeschichte-die Geschichte der Peinture, so wie wir sie heute verstehen. Und davon ist dieser Typ Maler, wie Janssen, geprägt. Die wollen unter keinen Umständen literarisch (miß)verstanden werden.

ROTERS; Da unterscheidet sich nämlich Janssen von einem Berliner Maler, wie Maupassant von E-T.A. Hoffmann. Wenn Janssen nämlich sagt: Er denkt mit den Augen (so habe ich es formuliert), dann ist das die legitime Äußerung eines Malers, und Sehen hat eben eine andere Qualität als Hören und Fühlen und vielleicht auch als Denken, nicht war? Aber so ganz glaube ich ihm das eben nicht. Auch im Gespräch; Er ist sicherlich kein Intellektueller, aber.

WARGIN: . . .er ist von Erinnerungen geprägt und diese Erinnerungen sind, glaube ich, der Motor seiner Bildkombinationen.

RUHRBERG: Ich will sagen: Er ist nicht intellektuell, aber er ist sehr intelligent, er sagt manchmal Dinge, die ganz verblüffend sind und auch so beiläufig wie diese scheinbaren Genre-Szenen da auf den Bildern.

ROTERS: Wenn ich sage: Er denkt mit den Augen, meine ich natürlich nicht, daß er nicht auch mit dem Gehirn denkt, ich glaube eben nur was Du eben sagtest- er ist von Erinnerungen geprägt, und das sind bei ihm natürlich auch sehr stark visuelle Erinnerungen.

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Das schiebt sich dann übereinander und.dadurch ergibt sich der visuelle Vergleich, ergibt sich auch diese Struktur, die er bringt, sozusagen, daß er plötzlich ein Parallelbeispiel in einem Zug bringt
oder daß ein Schiff Bäume transportiert.

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Diese Skala, wo diese ganz verblüffenden Zusammenhänge entstehen, ein versteckter Surrealismus.

RUHRBERG: Ja, das ist immer versteckt; was dagegen augenfällig ist und was in die Augen springt, ist die Peinture. Und das kann zu Mißverständnissen führen. Der Janssen hat eine große Stärke, die zugleich eine Schwäche ist: das ist, daß er so unheimlich viel kann. Ich habe mal geschrieben: Es gibt keinen Maler, der besser malen kann als Peter Janssen. Das ist ein großer Vorteil, und das gibt diese Leichtigkeit und man ist ja sehr rasch -in Deutschland im allgemeinen und in Berlin im besonderen-dazu geneigt, Leichtigkeit mit Leichtfertigkeit zu verwechseln. Und weil Janssen diese leichte Hand hat, glaubt man, es fiele ihm zu; darum ist die Produktion natürlich außerordentlich reich, und es gibt innerhalb dieser Produktion auch ein starkes Qualitätsgefälle. Aber: Jeder Künstler hat das Recht, nach seinen besten Werken beurteilt zu werden.

ROTERS: Und auch nicht nach den Werken, denen man ansieht, daß er sich dabei die größte Mühe gegeben hat.

RUHRBERG: Und wie wunderbare Ergebnisse so eine Leichtigkeit haben kann, dafür ist das Reiterbild aus den späten fünfziger Jahren ein Beispiel. Es heißt.,, Die Reisigen".

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Das ist ein hübscher Titel. Reisende Ritter, Fahrende, die unterwegs sind. Das ist doch zauberhaft. So eine Grisaille, wo man auch sieht, wie reich ein Grau sein kann. Das ist ja beinahe so schön wie ein Grau von Manet.

ROTERS: Diese Leichtigkeit, dieses Können, ist natürlich eine Tugend, die etwas sehr Verführerisches hat. Trotzdem, wenn ich mir jetzt so ein Frauenportrait betrachte, habe ich das Gefühl, Janssen hat sich hier selbst noch ein Gewicht drangehängt, um nicht davonzufliegen.

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Bei diesem Bild hatte er mehr Widerstand, weil das Portrait eigentlich bisher nicht sein Metier war. Aber gerade dieses Bild ist meiner Meinung nach besonders gut gelungen. Und hier ist auch für Janssen wieder was Neues drin, was er in seinen vorhergehenden Bildern noch nicht hatte.

WARGIN: Du würdest es wirklich als Portrait sehen? Ich würde es einfach als Bild lassen.

ROTERS: Einverstanden, nur, er hat angefangen, mit der Motivation eines Portraits und die hat ihm gutgetan.

RUHRBERG: Die starke Persönlichkeit dieser Frau, die hat das bewirkt. Die Härte der Auseinandersetzung. Denn das ist ja auch eine Art von Vergewaltigung. Und daher hat sie auch dieses Monumentale, Standbildhafte. Das ist so eine Art ,,Frau an sich".

ROTERS: Ja, die riecht man richtig.

RUHRBERG: Was ist da drin, was steckt dahinter von mythologischen Figuren und Frauengestalten!

ROTERS: Ja, das ist nicht nur Venus, das ist Hera. Das ist De meter. Der fruchtbare Schoß. Und wenn Venus, dann Astarte, mit sechs Brüsten. Ja, und dieses Gesicht, das ist eigentlich nicht schön, aber sehr, sehr weiblich.

RUHRBERG; Als Form an sich interessant, ohne Physiognomie zu sein, mehr als ein Portrait.

ROTERS: Ja, das Portrait wird aus dem Individuellen ins Allgemeine erhoben. Es kommt ja auch für Janssen noch dadurch was Neues hinzu, daß er z. B. einen Hintergrund nimmt, wo er eine bisher noch nie oder selten aufgetauchte Farbe drin hat. Dieses etwas verwitterte Aubergine, das ist ja auch so ein Grund, der das so einhüllt und auch isoliert.

RUHRBERG: Genau, wie der ,,Ästhet" nämlich auf einmal so streng werden kann. Wie diese Form der Frau hochkonzentriert ist und plastisch! Und dann der Hintergrund und dagegen dieses Grün und dieses merkwürdige Bleigrau. Dadurch wird das Bild ganz herb und streng und ist so konzentriert. Da tritt nämlich einmal etwas offen in Erscheinung, was sich sonst hinter der Leichtigkeit und Grazie von Janssens Bildern verbirgt.

ROTERS: Das Bild ist von intimer Größe. Obwohl Intimität und Größe ja eigentlich ein Widerspruch ist. Aber genau das ist es.

RUHRBERG: Und auch dieser Stuhl, so ganz im Profil, das ist so streng! Ein Bild ohne jede Verbindlichkeit, das sich auch überhaupt nicht anbiedert.

ROTERS: Daraus kommt eine großartige Erotik. Eine Erotik aber im verkehrten Sinne.

RUHRBERG: Eine Erotik, die über den vordergründigen Bezug hinausgeht.

ROTERS: Sozusagen jenseits des Verlangens.

RUHRBERG: Und auch die Plastizität! Wenn man das Bild sieht und dann die anderen für anekdotisch hält, dann muß ich sagen, hat man keine Augen im Kopf.

ROTERS: Auch in diesem Bild, meine ich, kann man eine geheime Verbindung mit Ludwig Gabriel Schrieber wiedererkennen. Von den Figuren her. Denn wie Schrieber seine Figuren auffaßt, das ist ganz ehrlich.

RUHRBERG: Auch von diesem Frauenbildnis her rückwärts gesehen, kriegen auf einmal ganz andere Dinge einen ganz anderen Stellenwert.

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Ich meine bei diesem italienischen Bild, diesen Pavillon mit dem Musiker drin. Diese heitere Szenerie hat in Wirklichkeit eine unglaublich entschiedene, kraftvolle Form, die mit großer Kunst ein wenig seitenverkehrt ins Bild gebracht worden ist, und die dieses ganze Gewimmel drumrum, dieses ganze Anekdotische zusammenfaßt.

Das Rot, ja, das meine ich.

ROTERS: Diese Vielfalt: der Zylinder, der Pavillon, dann diese Bilder mit den Kreisen, wo man also das Gefühl hat, da hat er durch ein Fernrohr geguckt.

RUHRBERG; Wenn ich jetzt so auf die Sache gucke, das könnten ja drei verschiedene Lebenswerke sein oder vier. Und nun kommt natürlich noch etwas hinzu, was vielleicht wieder Vorurteile verstärkt oder ausgelöst hat. Bei uns existiert ja diese merkwürdige Meinung, die auch mit der Abkapselung der Künste voneinander zu tun hat und mit der Spezialisierung. Bei uns denkt man leicht, wer vieles kann, der könne nicht viel können. Wobei man vergißt, daß die Bandbreite früherer Künstlergenerationen eine viel größere war. Bei Janssen gibt's nichts zum Wiedererkennen, weil er sich immer verändert.

ROTERS: Und trotzdem natürlich immer der Gleiche bleibt.

WARGIN: Was Du sagst, ist-glaube ich-eine Erscheinung, die man zusammen mit der Verbreitung der Massenmedien sehen muß. In einer Zeit, wo nicht soviel Information zur Verfügung stand, war dieses überhaupt kein Problem. Der Kulturapparat schluckt nur 30 Leute und wenn diese 30 Leute sich jede Woche einmal ihre Formen verändern würden, kein Redakteur - ob in Fernsehen oder Zeitung - würde von dem eine Story nehmen. Das heißt, wenn diese Leute im Apparat drin bleiben wollen, müssen sie über Jahre die gleiche Suppe kochen.

RUHRBERG: Und dann wundern sie sich, daß sie fade werden durch ewiges Aufwärmen.

WARGIN: Und das deckt sich auch mit dem Handel, der ist dann auch daran interessiert und so geht das ineinander und irgendwann haben die Museumsfritzen es auch begriffen.

RUHRBERG: Das führt dann zu der Tragödie dieser leergebrannten 40-bis 50-jährigen Künstler.

WARGIN: Das finde ich, ist ein Punkt, der, so gesehen - für Janssen zur Belastung wird. Der hätte ja doch ebenso gut bei seiner Leichtigkeit, von der Du immer wieder sprichst, ein ganz produktiver Mann für solche Konstruktionen sein können.

RUHRBERG: Dazu ist er zu integer. Ich halte den Peter Janssen - im Gegensatz zu manchem anderen - für einen vollkommen integären Maler, der solche Anpassungskunststückchen genauso wenig mitmachen würde, wie er gewisse politische Dinge mitgemacht hat. Ich finde es bezeichnend, daß er die Zeit von 1933-1945, von der die wenigsten wissen, was da mit ihm passiert ist, daß er die einfach unter ,,abwesend" in seinem Lebenslauf notiert. Das ist übrigens das gleiche Understatement, das in den Bildern zum Ausdruck kommt.

ROTERS: Das ist Janssens Diskretion.

RUHRBERG: Die Diskretion, die an der Oberfläche versteckte liefe. Das macht es den Bildern so richtig schwer.

ROTERS: Stimmt.

RUHRBERG: ,,Diskretion" bezieht sich ja nicht nur auf die Zeit zwischen 1933 und 1945, es bezieht sich ja überhaupt auf alles Persönliche. Wir wissen alle, daá dieser scheinbar immer gut gelaunte, nur selten mal muffige Peter Janssen eine ganze Reihe von persönlichen Nöten, Katastrophen hinter sich zu bringen hatte. Davon ist nie etwas nach außen gedrungen, kaum etwas bis zu seinen Freunden. In meiner Optik unterscheidet er sich dadurch sehr vorteilhaft von anderen malenden oder bildhauernden Romanciers.

Diese gleiche Zurückhaltung und dieses Nicht-viele-Worte-machen, schwere, bedrohliche Dinge auf eine leichte Weise sagen, erkennt man z. B. an diesem unheimlichen und auch wieder sehr komischen, entenhaften Helikopter über der nächtlichen Landschaft.

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Andere würden da ganze Bombengeschwader draus machen.

WARGIN: Daß man das nun auch gar nicht weiß: Schmeißt er da Bomben, oder sind das Monde, die da runterfallen. Das bleibt offen.

ROTERS: Es bleibt offen, ja. Wobei hinzukommt: Was ihn da abgehalten hat, in den Kunsthandel einzusteigen, das ist sowohl die Integrität als auch die dazu gehörige Phantasie.

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Janssen hätte es einfach nicht ausgehalten, dauernd Hüte zu malen. Oder Bäume.

RUHRBERG: Nein, dazu ist ihm zuviel eingefallen.

ROTERS: Das hätte er gar nicht verkraftet, das wäre ihm zu langweilig geworden.

RUHRBERG: Und noch eins ist für ihn wichtig: Lange Zeit ist ja alles ästhetische suspektgewesen. Selbstverständlich sind Janssens Arbeiten aber hoch-ästhetische Gebilde, und das verheimlicht er auch gar nicht.

ROTERS: Mir fällt gerade was ein, was vielleicht trivial klingt: Es erinnert mich an Mozart. Da hat man auch die Leichtigkeit, da hat man aber auch die Diskretion. Und oft ist hinter der Leichtigkeit die Tragik verborgen.

RUHRBERG: Ein typisches Beispiel dafür: Cosi fan tutte. Das hat man als burleske Verwechslungskomödie und heitere Eifersüchtelei und wie es die Weiber mit den Männern treiben - ganz vordergründig gesehen; und dabei steckt doch ganz etwas anderes dahinter; nämlich die Frage nach der menschlischen Identität.

ROTERS: Genau das ist es, was hier auch dahinter steckt. Genau das ist auch das Thema von Janssen: Die Frage nach der Identität. Und daher auch diese Verblüffung, etwas so zu sehen, wie man es sonst nicht sieht, obwohl man es immer so sieht.


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